Fluss-Fahrt. Wer an Bord einer traditionellen Dahabiya eincheckt, entgeht dem Massentourismus, der für diese Region typisch ist, und kann Kultur, Land und Leute aus individueller Perspektive entdecken.
Je weiter wir in den Süden kommen, desto schöner wird die Landschaft. Hohe Dattelpalmen, Mango-, Feigen- und Zitronenbäume säumen die Ufer, dazwischen wogt Schilf in dicken Bündeln, ein Ibis hebt sich daraus hervor und breitet seine schneeweißen Schwingen aus. Dörfer und Häuser sind kaum mehr zu sehen, dafür türmen sich auf der Westseite scharfkantige, ockerfarbene Gesteinsbrocken und die Wüste scheint zum Greifen nah. Lautlos gleiten wir unter voller Besegelung über das smaragdgrüne Wasser, nichts stört die Stile, nur hin und wieder knarzen die Seile, mit denen das Ruder bedient wird. Ich liege in der Hängematte, habe mein Buch längst zugeklappt und genieße den Moment. Die Szenerie zu meiner Linken erinnert mich an die Darstellungen in einer Kinderbibel; fast meint man Moses sehen zu können, der sein Volk aus Ägypten ins gelobte Land führt.
Höhepunkt des heutigen Tages soll der Besuch des Marktes in Darau sein. Die Souks in Kairo und Luxor sind uns nicht in guter Erinnerung – aufdringliche Händler, billiger Tand –, dennoch quetschen wir uns in ein Sammeltaxi und rumpeln über staubige Straßen in die nubisch geprägte Stadt am Ostufer des Nils.
Wow. Hier findet tatsächlich das Leben statt. Keine Rede von einschlägigen Souvenirs, die nur für Touristen erzeugt werden, am Markt von Darau wird feilgeboten, was die Einheimischen in ihrem Alltag brauchen. Tief verschleierte, oft von einer Kinderschar begleitete Frauen kaufen Gemüse und Obst, Kräuter, Gewürze, Bohnen oder Linsen. Auch Dinge des täglichen Gebrauchs, wie Pfannen, Seile oder geflochtene Körbe, kann man erwerben. In einem winzigen, dunklen Laden beugt sich ein alter Mann tief über eine mechanische Nähmaschine und fertigt Gallabijas an, rund um ihn stapeln sich Stoffballen bis zur Decke. Vor dem Teehaus haben sich Männer aller Altersstufen im Schneidersitz auf abgewetzten Bänken niedergelassen, trinken Karkadeh und rauchen Wasserpfeife, in der Bäckerei locken honigtriefende Häppchen und duftendes Fladenbrot. Wir schlendern mit großen Augen durch das Gewirr der Gassen, bahnen uns zwischen unentwegt hupenden Tuktuks und schwer beladenen Eselsgespannen unseren Weg. Die Fleisch-Abteilung ist nichts für zart besaitete Gemüter. Lebende Hühner warten in Käfigen eingezwängt auf ihr letztes Stündchen und werden direkt vor dem Käufer geschlachtet und gerupft, auf einem anderen Stand zerlegt ein zahnloser Mann ein halbes Kamel, daneben ist ein hohläugiger, gehäuteter Ziegenkopf zur Schau gestellt. Zum Kauf gedrängt oder gar belästigt werden wir nie, wenn wir mit „Salam Alaikum“ grüßen, lächelt man uns zu. Manche fragen freundlich, woher wir kommen. „Nemsa“ heißt das Zauberwort, so wird Österreich von den Ägyptern bezeichnet. Damit kommt man sehr viel weiter als mit „Austria“, auf das unweigerlich die Känguru-Assoziation folgt.
Überwältigt von den Eindrücken, sind wir froh, wieder in die ruhige Intimität der Abundance zurückkehren zu dürfen, die vertäut vor einer weiten, grünen Ebene liegt. Als wir aus dem Auto steigen, treibt gerade ein Bauer Rinder und Wasserbüffel zur Tränke. Ein Bild, das auch aus dem vorigen Jahrhundert stammen könnte. Morgen steht unsere letzte Etappe auf dem Programm. Sie wird uns nach Assuan bringen, eine Stadt zwischen Land und Wasser, zwischen Antike und Moderne. Sie scheint uns als Sinnbild für Ägypten zu stehen.
Die Dahabiya Abundance segelt für ein Unternehmen, das vom deutsch-ägyptischen Ehepaar Johanna Marius und Mohammed Morsy gegründet wurde. Die beiden haben das 35 Meter lange Schiff 2017 gebraucht gekauft, technisch komplett überholen lassen und sowohl innen als auch außen sehr ansprechend gestaltet. In fünf Kabinen finden maximal zehn Gäste Platz, die von einer achtköpfigen Crew betreut werden, auch Vollcharter ist möglich.
Mohammed Morsy ist als Kapitän stets mit an Bord, Johanna Marius, die mit ihrem Mann in einem Dorf am Westufer von Luxor lebt, bleibt meist an Land, beantwortet Anfragen, wickelt Buchungen ab und kümmert sich um Pressearbeit und Marketing. Bei Bedarf stellt sie rund um die Nil-Fahrt einen individuellen Reiseplan zusammen und ist bei der Organisation von Hotels, Guides oder Zugtickets behilflich.
Die oben beschriebene Reise umfasste vier Nächte an Bord. Im Preis inkludiert waren Vollpension, alkoholfreie Getränke, Tee, Kaffee, sämtliche Transfers, Besichtigungen und Eintrittskarten sowie die Begleitung durch einen deutschsprachigen Ägyptologen.
Sie fand im Februar 2020 statt, also unmittelbar bevor das Reisen durch die Corona-Pandemie stark eingeschränkt wurde. 2021 werden wieder Fahrten auf der Abundance zwischen Luxor und Assuan angeboten, die Nachfrage ist laut Chefin Johanna Marius im Steigen begriffen. Um die Gesundheit der Gäste zu gewährleisten, hat das ägyptische Tourismus-Ministerium strenge Hygiene-Regeln erlassen, die an Bord lückenlos eingehalten werden. Zudem hat man die Rahmenbedingungen bei den Mahlzeiten geändert: Statt der im Text beschriebenen großen Tafel gibt es jetzt mehrere kleine Tische an Deck.
Für die Einreise nach Ägypten braucht es im Moment einen PCR-Test in englischer oder arabischer Sprache, der nicht älter als 72 Stunden ist; die Bestimmungen können sich aber jederzeit ändern.
Sail the Nile, Tel.: +20 101 3131 886, E-Mail: johanna@nil-segeln.com
Dieser Artikel erschien zuerst in der Yacht-Revue 3/21. Text: Judith Duller-Mayrhofer