Fluss-Fahrt. Wer an Bord einer traditionellen Dahabiya eincheckt, entgeht dem Massentourismus, der für diese Region typisch ist, und kann Kultur, Land und Leute aus individueller Perspektive entdecken.
Esna liegt zwischen Arabischer und Libyscher Wüste, rund 55 Kilometer südlich von Luxor und markiert den Startplatz unserer Reise. Am Pier der 70.000-Einwohner-Stadt reihen sich unter der Morgensonne längsseits mehrere Dahabiyas, die Abundance sieht mit ihrem blank polierten Holzdeck, dem blendend weißen Rumpf und den farblich abgestimmten Textilien besonders einladend aus. Eine achtköpfige Crew kümmert sich um Boot und Gäste, wir werden mit frischem Mango- und Guavensaft begrüßt, beziehen unsere Kabinen und sind gespannt auf alles, was nun kommen mag.
Das Schiff hat keinen Motor, daher muss ein Schleppboot beim Ablegen helfen. Doch kaum sind wir auf Kurs, lässt Kapitän Mohammed beide Segel setzen. Seine Männer haben alle Hände voll zu tun, ihre Gallabijas, das traditionelle, an eine Tunika erinnernde Gewand der ägyptischen Landbevölkerung, flattern ebenso im Wind wie die dreieckigen, an drehbaren Rahen angeschlagenen Tücher. Rasch hat die Crew alles unter Kontrolle und wir bewegen uns zügig Richtung Süden. Gesteuert wird mit einer massiven Pinne, die sich über ein Seilzugsystem bedienen lässt, die Strömung trägt das ihre zum Vorankommen bei.
Zeit zum Entspannen. Es gibt jede Menge gemütliche Plätzchen an Bord: die gestreifte Hängematte, die unter dem Sonnendach schaukelt, Liegestühle und -betten mit direktem Blick in das Segel, bequeme Korbsessel, eine ausladende Lounge-Garnitur und dicke Bodenkissen, die sich um einen orientalischen Teppich gruppieren. Jedes Tablett, jede Deko wurde von der deutschen Chefin persönlich arrangiert und zeugt von Geschmack. Die Mahlzeiten nehmen wir an einem großen Tisch ein, an dem alle Gäste Platz finden.
Auf der Abundance wird stets frisch gekocht, hat Johanna Marius bei unserem im Vorfeld geführten Gespräch betont, Tiefkühl-Fleisch und Dosen-Gemüse sind verpönt, Kapitän Mohammed geht täglich auf den Markt, um den Einkauf zu erledigen. Deshalb, so Marius, bräuchten ihre Gäste auch nicht die unter Touristen weit verbreiten Verdauungsprobleme fürchten. „Bei uns an Bord ist noch nie jemand krank geworden“, versichert die gebürtige Münchnerin nicht ohne Stolz.
Tatsächlich schmeckt alles, was uns auf der Abundance serviert wird, großartig. Ein spezieller Genuss sind die würzigen Mezze, wie die Vorspeisen der arabischen Küche genannt werden, die uns in ihrer Vielfalt jeden Tag aufs Neue entzücken. Wasser, Tee und Nescafé sind ebenso wie die gesamte Verpflegung im Charterpreis inkludiert, andere Getränke werden separat, aber fair kalkuliert verrechnet.
Der erste Tag vergeht wie im Flug, um 16 Uhr haben wir unser Ziel, eine langgestreckte Insel mitten im Nil, erreicht. Drei Männer klettern hurtig in den Mast, um die Segel zu bergen, aufzutuchen und festzuzurren, dann zieht uns das Begleitboot längsseits zum Ufer. Ein Crewmitglied balanciert über eine schmale Planke an Land, treibt mit einem mächtigen Hammer lange Nägel in die trockene Erde und macht die Abundance daran mit mehreren Belegleinen fest. Zu guter Letzt wird als Abstandshalter ein Balken im rechten Winkel zum Schiff befestigt und eine breite Passarella ausgebracht, über die wir Gäste bequem von Bord gehen können. Simpel und funktionell.
Die Dahabiya Abundance segelt für ein Unternehmen, das vom deutsch-ägyptischen Ehepaar Johanna Marius und Mohammed Morsy gegründet wurde. Die beiden haben das 35 Meter lange Schiff 2017 gebraucht gekauft, technisch komplett überholen lassen und sowohl innen als auch außen sehr ansprechend gestaltet. In fünf Kabinen finden maximal zehn Gäste Platz, die von einer achtköpfigen Crew betreut werden, auch Vollcharter ist möglich.
Mohammed Morsy ist als Kapitän stets mit an Bord, Johanna Marius, die mit ihrem Mann in einem Dorf am Westufer von Luxor lebt, bleibt meist an Land, beantwortet Anfragen, wickelt Buchungen ab und kümmert sich um Pressearbeit und Marketing. Bei Bedarf stellt sie rund um die Nil-Fahrt einen individuellen Reiseplan zusammen und ist bei der Organisation von Hotels, Guides oder Zugtickets behilflich.
Die oben beschriebene Reise umfasste vier Nächte an Bord. Im Preis inkludiert waren Vollpension, alkoholfreie Getränke, Tee, Kaffee, sämtliche Transfers, Besichtigungen und Eintrittskarten sowie die Begleitung durch einen deutschsprachigen Ägyptologen.
Sie fand im Februar 2020 statt, also unmittelbar bevor das Reisen durch die Corona-Pandemie stark eingeschränkt wurde. 2021 werden wieder Fahrten auf der Abundance zwischen Luxor und Assuan angeboten, die Nachfrage ist laut Chefin Johanna Marius im Steigen begriffen. Um die Gesundheit der Gäste zu gewährleisten, hat das ägyptische Tourismus-Ministerium strenge Hygiene-Regeln erlassen, die an Bord lückenlos eingehalten werden. Zudem hat man die Rahmenbedingungen bei den Mahlzeiten geändert: Statt der im Text beschriebenen großen Tafel gibt es jetzt mehrere kleine Tische an Deck.
Für die Einreise nach Ägypten braucht es im Moment einen PCR-Test in englischer oder arabischer Sprache, der nicht älter als 72 Stunden ist; die Bestimmungen können sich aber jederzeit ändern.
Sail the Nile, Tel.: +20 101 3131 886, E-Mail: johanna@nil-segeln.com
Dieser Artikel erschien zuerst in der Yacht-Revue 3/21. Text: Judith Duller-Mayrhofer