Fluss-Fahrt. Wer an Bord einer traditionellen Dahabiya eincheckt, entgeht dem Massentourismus, der für diese Region typisch ist, und kann Kultur, Land und Leute aus individueller Perspektive entdecken.
So gut wie alle Tempel in Oberägypten sind aus dem Sandstein von Gebel es-Silsila erbaut. Auf Bestellung wurden Quader in unterschiedlichen Größen aus dem Fels gehauen, die Spuren der Werkzeuge sind heute noch zu sehen, ebenso die Tempelanlagen, in denen die Arbeiter beteten, und die Felsgräber, in denen man sie bestattete. Die großen Nilkreuzer machen an dem bedeutendsten Steinbruch Ägyptens nicht Halt, die Abundance schaukelt direkt davor. Begleitet von einem deutschsprachigen Reiseführer, der während des gesamten Törns mit an Bord ist, wandern wir auf sandigen Pfaden, lassen uns von seinen Erzählungen in das Reich der Pharaonen entführen, bestaunen Skulpturen, Pavillons und 40 Meter hohe, steil aufragende Felswände. So macht Sightseeing Spaß.
Den nächsten Stopp legt die Abundance in Kom Ombo ein. Der Nil zieht hier eine U-förmige Schleife, was sein Wasser langsamer fließen lässt und die Entstehung von Sandinseln fördert. Auf diesen Sandinseln pflegten einst Krokodile ihre Eier abzulegen und so wundert es nicht, dass der Doppeltempel von Kom Ombo dem Krokodilgott gewidmet ist. Er gehört zu den beliebtesten Attraktionen der Region, hat eine eigene Anlegestelle und ist entsprechend überlaufen. Reisegruppen aus aller Herren Länder drängen sich durch Portale, Säulenhallen und Gänge, fliegende Händler versuchen uns ihren Ramsch aufzuschwatzen. Die Besichtigung der Anlage ist trotz des Gewimmels ein Muss. Alle Räume wurden mit Reliefs und Hieroglyphen verziert, an der Wand einer Kammer sind ausschließlich chirurgische Instrumente dargestellt, die modernen Operationswerkzeugen verblüffend ähneln. Hier war das Spital untergebracht, erklärt unser Guide. Vor weit mehr als 2.000 Jahren – unglaublich.
Kontrapunkt zum Touri-Trubel ist der idyllische, absolut ruhige Flecken, den Kapitän Mohammed für die Abendrast gewählt hat. Begleitet von Rabbia, einem aus Nubien stammenden Matrosen, spazieren wir in das nahe Dorf. Kinder spielen unter Palmen, schwarz gekleidete Frauen hocken auf einem Mäuerchen und tratschen, hier und da harkt ein Bauer den Boden. Fremde scheinen sich selten hierher zu verirren, dennoch nimmt man uns gleichmütig zur Kenntnis. Vor dem Gebetshaus führen heftig gestikulierende Männer eine lautstarke Diskussion. „Gibt es Streit?“, fragen wir Rabbia. „Geht nur um Fußball“, winkt dieser ab. Manches ist in aller Welt gleich …
Die Dahabiya Abundance segelt für ein Unternehmen, das vom deutsch-ägyptischen Ehepaar Johanna Marius und Mohammed Morsy gegründet wurde. Die beiden haben das 35 Meter lange Schiff 2017 gebraucht gekauft, technisch komplett überholen lassen und sowohl innen als auch außen sehr ansprechend gestaltet. In fünf Kabinen finden maximal zehn Gäste Platz, die von einer achtköpfigen Crew betreut werden, auch Vollcharter ist möglich.
Mohammed Morsy ist als Kapitän stets mit an Bord, Johanna Marius, die mit ihrem Mann in einem Dorf am Westufer von Luxor lebt, bleibt meist an Land, beantwortet Anfragen, wickelt Buchungen ab und kümmert sich um Pressearbeit und Marketing. Bei Bedarf stellt sie rund um die Nil-Fahrt einen individuellen Reiseplan zusammen und ist bei der Organisation von Hotels, Guides oder Zugtickets behilflich.
Die oben beschriebene Reise umfasste vier Nächte an Bord. Im Preis inkludiert waren Vollpension, alkoholfreie Getränke, Tee, Kaffee, sämtliche Transfers, Besichtigungen und Eintrittskarten sowie die Begleitung durch einen deutschsprachigen Ägyptologen.
Sie fand im Februar 2020 statt, also unmittelbar bevor das Reisen durch die Corona-Pandemie stark eingeschränkt wurde. 2021 werden wieder Fahrten auf der Abundance zwischen Luxor und Assuan angeboten, die Nachfrage ist laut Chefin Johanna Marius im Steigen begriffen. Um die Gesundheit der Gäste zu gewährleisten, hat das ägyptische Tourismus-Ministerium strenge Hygiene-Regeln erlassen, die an Bord lückenlos eingehalten werden. Zudem hat man die Rahmenbedingungen bei den Mahlzeiten geändert: Statt der im Text beschriebenen großen Tafel gibt es jetzt mehrere kleine Tische an Deck.
Für die Einreise nach Ägypten braucht es im Moment einen PCR-Test in englischer oder arabischer Sprache, der nicht älter als 72 Stunden ist; die Bestimmungen können sich aber jederzeit ändern.
Sail the Nile, Tel.: +20 101 3131 886, E-Mail: johanna@nil-segeln.com
Dieser Artikel erschien zuerst in der Yacht-Revue 3/21. Text: Judith Duller-Mayrhofer