Im alten Ägypten reisten die Pharaonen auf ihr. In den Anfängen des Tourismus war sie das einzige Transportmittel für reiche Europäer, die im 19. Jahrhundert das Sehnsuchtsland am Nil erkunden wollten. Jetzt kommt die Dahabiya langsam wieder so richtig in Mode. Ein All-inklusive-Luxus- Ausflug wohin der Wind uns trägt, bei dem das alte Ägypten auf den Genuss des Langsam-Reisens trifft. Romantisch und intim zugleich.
Von Susanne Mauthner-Weber

Die Reise einer Journalistin: Susanne Mauthner-Weber segelt auf dem Nil
Es ist uns eine Ehre, die österreichische Journalistin Susanne Mauthner-Weber als Gastbeitrag in unserem Blog begrüßen zu dürfen. Susanne Mauthner-Weber, die jahrzehntelang für den KURIER, Österreichs führende Tageszeitung, gearbeitet hat, ist seit langem eine leidenschaftliche Chronistin der Geschichte, der Wissenschaft und der menschlichen Geschichte. Ihr Hintergrund in Rechts- und Medienwissenschaften, gepaart mit ihrer tiefen Neugier auf die alte Welt – von Paläogenetik bis Ägyptologie – macht ihre Perspektive für uns besonders bedeutsam.
In ihren Beiträgen für führende Geschichtsmagazine und in hochgelobten Büchern wie „Zuhause ist anderswo. Eine Weltreise durch die Migrationsgeschichte von Ötzi bis heute“ hat sie die Reise der Menschheit über Zeit und Kontinente hinweg erkundet. Ihr Weg führte sie nun an die zeitlosen Ufer des Nils.
Wir freuen uns, Susannes Überlegungen über die Fahrt mit uns an Bord einer traditionellen Dahabiya zu teilen – eine Erfahrung, die die Annehmlichkeiten des langsamen Reisens mit dem tiefen Reichtum der ägyptischen Vergangenheit verbindet.
Als Amelia Edwards am 13. Dezember 1873 gegen zwei Uhr nachmittags an Bord der Philae ging, sollte dieser Schritt das Leben der Schriftstellerin komplett verändern. Es war ein Samstag. Die Dahabiya, die für die nächsten Monate ihr Zuhause werden sollte, lag am Ostufer des Nils in Bulaq, einem Stadtviertel der ägyptischen Hauptstadt Kairo. Die günstigen Winde sollten die 42-jährige Britin schon bald bis nach Abu Simbel tragen.
„Glücklich sind alle Nil-Reisenden, die mit einer angenehmen Brise an einem glänzenden Nachmittag aufbrechen können“, notierte Edwards. Vorbei an den Pyramiden in Gizeh, der Stufenpyramide des Djoser in Saqqara, Beni Hasan, Dendera, Abydos, Luxor mit Theben sowie Karnak und Assuan – in den kommenden Wochen sollte die vielleicht berühmteste Reisebeschreibung entstehen, die jemals geschrieben wurde: A Thousand Miles up the Nile.
WAS IST EINE DAHABIYA?
Dass die traditionsreichen Boote über viele Jahrzehnte in Vergessenheit geraten sind, ist eine Ironie des Schicksals, weil die Dahabiya d a s Transportmittel auf dem Nil war – lange vor den Dampfern, die durch Agatha Christies „Tod auf dem Nil“ berühmt wurden.
Die Geschichte der Dahabiya reicht bis in die Zeit der Pharaonen zurück: Es gibt Inschriften über derartige Boote in den Gräbern altägyptischer Könige. Berühmte Ägypter wie König Farouk und Präsident Anwar as-Sadat hatten ihre eigenen Dahabiyas. Die englische Schriftstellerin, Journalistin, Reisende und Ägyptologin Amilia Edwards ließ sogar ein Klavier in den Salon ihrer Dahabiya bringen. Europäische Aristokraten liebten das schwimmende Heim, zumal die Reise ins alte Ägypten bis zu zwei oder drei Monate dauern konnte. Schließlich wurde an allen Sehenswürdigkeiten zwischen Kairo und Abu Simbel (damals gab es den Assuan- Staudamm noch nicht) Halt gemacht. So vielfältig wie die Reise mit dem antiken Segelschiff ist auch die mögliche Schreibweise in den unterschiedlochen Quellen. Also nicht wundern: Neben Dahabiya kann es auch Dahabeeya, Zahabiya, Dahabeyya, Dahabiah, dahabiyah, Dhahabiyya, Dahabiyeh, Dahabieh, Dahabeah oder Dahabey heißen.
Dieses Buch definierte auch die Route sämtlicher Ägytenreisen für die nächsten Jahrzehnte. Und beantwortete jene Frage, die viele jetzt wohl umtreibt: Was – bitte – ist eine Dahabiya?
Sie sehe auf den ersten Blick mehr wie ein Oxford-Kahn aus, schrieb die Londonerin, sei niedrig, habe einen flachen Boden und sei entweder zum Segeln oder Rudern ausgerüstet. Weiters gebe es zwei Masten: „Einen großen nahe des Bugs und einen kleineren am Heck. Die Kabinen befinden sich an Deck und nehmen den hinteren Teil des Gefährts ein. Das Dach der Kabinen bildet ein erhöhtes Deck oder ein Freiluft-Atelier – ein exklusiver Bereich für Passagiere. Eine Dahabeya ist, tatsächlich, der Arche Noah aus unserer Kindheit nicht sehr unähnlich.“ Irgendwie erinnerte das Boot Amelia Edwards an alte Bilder des Prunkschiffes der bayerischen Herzöge auf dem Starnberger See, „insbesondere, wenn die Männer an den Rudern sind“. (Mehr zur Dahabiya: siehe links)
Heute ist die Fron an den Rudern längst Geschichte, statt gerudert wird gezogen – von einem kleinen dieselbetriebenen Beiboot. Aber davon später. Auch der Startpunkt der Reise mit dem antiken Segelboot hat sich verlagert: statt in Kairo legt man in Luxor und Esna Richtung Süden ab. Oder, wie wir, in Assuan Richtung Norden.

Nachdem die kleine Gruppe aus dem Mini-Bus geklettert ist, der sie vom Hotel abgeholt hat, fällt der erste Blick auf einen breiten, saftig grüner Streifen Wiese, auf der sich Ziegen unter Gemecker die Bäuche vollschlagen. Dahinter im prallen Vormittagssonnenschein: der unfassbar blaue Nil und darauf wiederum glänzt die majestätische, weiß gestrichene Minya – unser Zuhause für die nächsten Tage. Die blau-weißen Quasten der Vorhänge am Sonnendeck der Schönheit aus Holz schauckeln
in der leichten Brise, die Crew winkt freundlich und beeilt sich, das Gepäck an Bord zu bringen und die neuen Gäste mit Kakadeh, eisgekühltem Malventee, dem ägyptischen Nationalgetränk, zu begrüßen.
Vor einigen Jahren haben die Schiffseigner, die Deutsche Johanna Marius und der Ägypter Captain Mohammed Morsy, beschlossen, neben ihrem ersten Schiff, der Abundance, ein zweites ganz nach ihren Vorstellungen zu bauen – sechs Kabinen plus eine Suite, für maximal 14 Gäste, die sich inmitten der geschmackvollen Möbeln, eleganten Stoffe, auf Hochglanz polierten Holzböden, bunten Fliesen in den Bädern, oder im Salon mit seinen Büchern und ganz viel Glas wie jene Aristokraten oder elitären Reisenden fühlen sollten, die während der Tage der Monarchie das Land der Pharaonen entdeckten.
Wobei sich das Leben im 21. Jahrhundert hauptsächlich oben abspielt: Serviert wird an Deck, stilvoll ruft eine Glocke zum Essen. Ägyptische Leckerbissen – Humus, Babaganusch, Okraschoten, orientalischer Reis, Salate, Omeletts, Palatschinken, Feigenmarmelade, frischer Mango- und Guavensaft – werden aufgetischt. Dazu alles, was gut und teuer ist: Shrimps, Fisch und Huhn. Ahmed, der Ober, der unübertroffen Aufmerksame, kommt mehrmals, um „Anything more“ zu fragen. Das Windspiel sorgt unterdessen für sphärische Klänge. Der Moment hat etwas Magisches.

260 Quadratmeter flattern. Barfuß versucht die Crew, das Segeltuch, das sich im Wind selbstständig gemacht hat, in den Griff zu bekommen. Der Koch, der Ober, Matrosen, der Kapitän, letzter in einer traditionellen, lange wallenden Dschallabija – alle helfen mit, als das Tuch der Minya eingeholt werden muss. Denn nur wenn der Wind gut steht, wird das Seil zum Beiboot gekappt und der Captain setzt die Segel. Die Minya wird von neun Leuten (sechs an Bord, drei im Beiboot) am Laufen gehalten und hat, wie alle echten Dahabiyas, keine Motoren außer einem Generator, der Strom erzeugt. Das gibt ihr etwas, was heutzutage sehr selten ist: Stille. Das Rauschen des Flusses, der gegen das Boot spritzt, ist dann eines der wenigen Geräusche, die zu hören sind, zusammen mit Vogelgezwitscher sowie dem Ruf des Muezzins – und der Dieselmotoren in der Ferne.
Links und rechts gleiten Dattelpalmen und Mangoplantagen vorüber, Rinder grasen ungerührt, gleich daneben spielen Kinder auf winzigen Nil-Inseln. Manchmal sieht man nur Grün, dann wieder reicht das Orange der Wüste bis zum Fluss. Hin und wieder kommt ein riesiges Kreuzfahrtschiff ganz nahe, und sehnsüchtige Blicke treffen das majestätische Segelboot, das der Ära von „Tod auf dem Nil“ entsprungen scheint, einer Zeit, in der die ersten Reisenden die Wunderwelt am Nil entdeckten.

Ehe Thomas Cook die Pauschalreise erfand und seine ersten beiden Dampfer auf den Nil entsandte, war die Dahabiya die einzige Möglichkeit, Ägypten zu bereisen. Bilder an den Wänden der Pharaonen-Gräber belegen, dass es die Boote seit Jahrtausenden in der einen oder anderen Form gegeben hat. Ähnliche, vergoldete Staatsschiffe wurden von den muslimischen Herrschern Ägyptens im Mittelalter verwendet. Daher kommt auch der Name Dahabiya – „die Goldene“.
1847 notierte Sir John Gardner Wilkinson in seinem „Handbuch für Reisende in Ägypten“: „Zwanzig Tage sind ein guter Durchschnitt für die Reise von Kairo nach Theben; bei guten Winden ist es möglich, von Theben zum zweiten Katarakt und wieder zurück in zwei Wochen zu fahren, obwohl dies selten geschieht; und die geringste Zeit, Ägypten bequem zu sehen, sind drei Monate“. Wilkinson berichtet auch, dass der Dahabiya- Mieter am Ende der Reise dafür sorgen musste, dass das Boot entladen und neu lackiert wurde, zudem wollte der Bootsführer beaufsichtigt sein.
Heute muss sich der Reisende um nichts kümmern, außer, sich dem Vergnügen hinzugeben. „Alles kommt zu uns, wie wir so fahren“, schrieb der deutsche Dichter Rainer Maria Rilke 1911 vom Nil aus an seine Frau Clara. Doch wir greifen vor.

Bis vor ein paar Jahren – ehe der Zeitgeist die Qualität des Langsamreisens (wieder)entdeckt hat -, befuhren nur wenige Dahabiyas den Nil. „Heute sind es bestimmt 150“, schätzt Captain Mohammed. Viele davon seien riesig und daher nur schwer zu manövrieren. „Segeln kann man mit ihnen gar nicht, das sind keine Dahabiyas mehr“, stellt der Kapitän grimmig klar.
Captain Mohammed hat sich vorne am Bug platziert. Um den Überblick zu haben und die Zugmaschine zu dirigieren? „Auch“, sagt er und lacht, „aber vor allem will ich die Sonne genießen“. Seit er zwölf ist, arbeitet er auf Booten. Zuerst auf einer Felukke, dann als Skipper auf den Dahabiyas anderer Leute. Mittlerweile ist er der Kapitän der Abundance und der Minya.
Heute herrscht Hochbetrieb auf dem Nil. Unzählige Dahabiyas begegnen uns. Sie tragen Namen wie Queen of the Nile, Princess Leia, Noor Eldin oder Agatha Christie. In Kom Ombo liegen einige weitere vor Anker, alle sind weiß gestrichen, haben zwei Segel und schöne überdachte Sonnendecks. Ursprünglich für die Beförderung von Prominenten und königlichen Familien gebaut, kommt die Dahabiya jetzt so richtig in Mode. Zu unserem All- Inclusive-Luxus-Paket gehört auch Saleh, der der kleinen Gästeschar heute die Highlights des Tempels von Kom Ombo nahebringen wird. Und das hat er gelernt – wie alle Guides, die Johanna Marius und Mohammed Morsy auf ihrem Schiff beschäftigen, hat auch Saleh Ägyptologie studiert.
Weil das Heiligtum hier Sobek geweiht ist, dem krokodilköpfigen Wasser- und Fruchtbarkeitsgott, erzählt unser Führer vom Krokodil-Orakel: „Die alten Ägypter wussten genau, wann die Flut kommt – dann nämlich, wenn die Krokodile ihre Eier legten, war das fruchtbringende Wasser nahe. Und wenn die Krokodile die Eier nahe am Nil legten, war eine kleine Flut zu erwarten.“ Platzierten die Tiere sie aber in sicherer Entfernung vom Fluss, stand eine heftige Flut bevor.
Am Abend halten wir bei einem antiken Steinbruch. Dank der geringeren Größe kann Captain Mohammed überall anlegen, wo es ihm gefällt. Die Minya braucht keinen Hafen, keinen Pier. Darum können wir die historische Stätte zur perfekten Zeit erkunden – am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück. Hier im Steinbruch von Gebel El-Silisa bedienten sich bereits die alten Ägypter, als sie die Tempel von Karnak, Luxor und Kom Ombo aus dem Wüstenboden stampften. Säulen, Gräber, Graffitis und Bearbeitungsspuren im Stein zeugen von der großen Vergangenheit.
Während herkömmliche Schiffe auf geradem Kurs zwischen Luxor und Assuan fahren, gleitet die Dahabiya von Dorf zu Dorf, von Insel zu Insel. Authentische Einblicke in das tägliche Leben am Ufer des Nils, fernab der Massen, werden so möglich. Einmal rundet ein Spaziergang über einen kleinen Markt den Tag ab, dann vielleicht eine Runde durch eine Plantage oder der Besuch eines Dorfes auf einer abgelegenen Nil-Insel. Durch geschickte Planung können Menschenansammlungen vermieden und ruhige Zeiten für das Erkunden der großen Sehenswürdigkeiten ausgewählt werden.

Zurück an Bord lassen sich durch die großen Glasscheiben vom Bett aus die Einheimischen – Schulkinder und Arbeiter – beobachten, die in kleinen Booten von der anderen Seite des Nils übersetzen. Im Unterschied zur Donau ist der Nil wirklich blau – kurz vor Sonnenuntergang wird er tiefdunkelblau, im Mondlicht schimmert er dann silbrig-hellblau. Jetzt hat der Reisende nichts anderes zu tun, als den Sternenhimmel zu bewundern oder aufs Wasser zu schauen und zu beobachten, wie sich die Farbe ändert. Oder in die buntgestreifte Hängematte zu wechseln. Oder auf eines der weichen Sitzkissen. Oder auf das Launch-Sofa und auf einen Gegner für ein Backgammon-Match zu hoffen. Geschichte verschmilzt mit Luxus. Romantisch und intim zugleich. Auszeit ohne Zeitdruck.
Nur der Tempel wartet – heute war es Kom Ombo. Danach der Lunch, das Sonnendeck, die vorbeiziehenden Dattelpalmen und Mangoplantagen, Fischer, andere Dahabiyas, der Nachmittagskaffee, das Dinner …
Und morgen wartet der nächste Tempel; vielleicht Edfu oder doch Esna mit seinen grandiosen, frisch renovierten,
farbenprächtigen Deckenmalereien. Dann der Lunch, das Sonnendeck, die vorbeiziehenden Dattelpalmen und Mangoplantagen…
P.S. Unsere eingangs erwähnte Amelia Edwards kehrte nach ihrem Abenteuer auf der Dahabiya zwar nach England zurück, das Alte Ägypten ließ sie aber nie wieder los. Sie widmete ihr weiteres Leben der Erforschung und Erhaltung der Pharaonenkultur.